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Jogging mit Bleiweste

Biggi Junge

Über Wut, Depressionen, Selbstfürsorge und Hunde

achtsamkeit.dog bewegt sich an der Schnittstelle von psychischer Gesundheit und dem Leben mit Hund. Das liegt vor allem daran, dass ich Hundetrainerin bin und zudem mit chronischen Depressionen lebe. Sie sind mal schlimmer, mal weniger schlimm; derzeit sind sie kaum zu ertragen. Trotzdem bin ich noch hier. Ich lerne, ich schreibe und ich kümmere mich um Charlie. Dennoch ist es gerade meine Beziehung zu Charlie, die in besonderem Maße von den Depressionen beeinflusst wird. Falls es Dir ähnlich geht, möchte ich Dir heute ein bisschen davon erzählen, was mir hilft. 


Nach innen gekehrte Wut

Ich glaube, dass ich schon wütend auf die Welt kam. Jedenfalls habe ich ziemlich schnell die Bezeichnung „jähzornig“ erhalten und im Türen zuknallen war ich schon sehr früh richtig gut. Aber diese Wut durfte keinen Raum haben. Sie war nicht richtig. Ich war nicht richtig. Mein Sein war zu viel und wie ich war auch. Wut ist Selbstbehauptungsenergie. Wenn sie im Außen keinen Ausdruck findet, wendet sie sich nach innen und erzeugt Druck. Ich empfinde diesen Druck als schwere, schwarze, klebrige Decke, fast wie Teer, die all mein Erleben dämpft und lähmt.


Glaub nicht alles, was Du denkst

Ich habe lange gedacht, dass dieser Zustand normal sei. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich anders denken oder empfinden sollte. Ich hatte weder Zugang zu Wut noch zu anderen Gefühlen. Spüren konnte ich nur in extremer körperlicher oder geistiger Belastung - im sportlichen Training, im Lernen und im Jonglieren mehrerer Jobs, meistens alles gleichzeitig. Ich nannte das Jogging mit Bleiweste im Sand bei Gegenwind.

 

Das begann sich erst zu ändern, als ich nach meinem ersten Zusammenbruch in der Psychiatrie landete und, ja tatsächlich, ausgerechnet über einen Kühlschrankmagneten stolperte, auf dem stand „Glaub nicht alles, was Du denkst“. Das war der erste Hinweis darauf, dass das, was in meinem Kopf vor sich ging, vielleicht gar nicht real war.

 

Depressionen trüben die Wahrnehmung. Sie bilden einen Filter, durch den wir die Welt selektiv wahrnehmen. Langjähriges, depressives Denken verschiebt die „Standardeinstellungen“ im Gehirn in Richtung Dunkelheit und Pessimismus. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis von negativen Erwartungen, negativen Erfahrungen und negativen Bestätigungen.  

 

Der Kühlschrankmagnet ist noch immer eine Stütze für mich.

Depressionen haben keine Substanz

Mir half, mir bewusst zu machen, dass Gedanken keinerlei Substanz haben und dass der Einfluss der Depressionen auf mein Denken nur in meiner Vorstellung existiert. Zugegebenermaßen gehen Depressionen auch mit Veränderungen der neuro-vegetativen Regulation einher. Aber wieder ist es meine gedankliche Bewertung dieser Veränderungen, die entscheidend ist.

 

Gedanken sind nur Gedanken. Sie haben nur Macht über mich, wenn ich sie ihnen zugestehe. Lasse ich sie los, können sie mich nicht mehr beeinflussen. Das ist anstrengend und insbesondere depressive Gedanken können extrem hartnäckig sein. Aber letzten Endes geht es darum, mich dafür zu entscheiden, die Depressionen nicht mehr für mich denken zu lassen.


Widerstand ist zwecklos

Es gibt Phänomene, die werden um so stärker, je mehr Widerstand ihnen entgegen gebracht wird. Depressionen sind ein solches Phänomen. Weil sie Körper und Geist durchdringen, sind sie weder durch physische Methoden noch durch mentale Strategien besiegbar. Sowohl Medikamente als auch Therapien mit ihrem Einfluss auf Körper und Geist können helfen, Depressionen zu lindern. Heilen können sie sich nicht.

 

Wenn Widerstand zwecklos ist, bleibt nur die Akzeptanz. Die Depression ist da. Sie färbt mein Denken, mein Erleben und mein Verhalten. Aber Akzeptanz bedeutet nicht aufzugeben. Denn die Depression ist nicht alles. Ich bin nicht die Depression, sie benutzt mich nur als Spielfeld. Mir das bewusst zu machen, lässt sie nicht verschwinden. Aber ich kann aufhören, gegen etwas zu kämpfen, das ich nicht verändern kann und meine Kraft stattdessen für meine Selbstfürsorge zu verwenden.[1]  


Weisheit beginnt mit Akzeptanz.

Selbstfürsorge

Das durch die Depressionen verzerrte Denken kann zur Vernachlässigung elementarer Bedürfnisse führen: Ernährung, ausreichende Bewegung und Gesundheitsvorsorge leiden, sodass die Depression zum Ausgangspunkt weiterer Erkrankungen werden kann.

 

Für mich ist es oft sehr schwer, gut für mich zu sorgen, wenn ich in einer lähmenden Depression hänge. Nicht nur, dass dann alles zäh und anstrengend ist und sich Gleichgültigkeit in mir breit macht. Ich denke dann auch, dass ich dieser Fürsorge gar nicht wert bin. Gerade dann aber ist Selbstfürsorge besonders wichtig.

 

Was hilft, ist, Gewohnheiten zu etablieren. Ich beispielsweise bade jeden Sonntag Abend. Und ich tue das auch, wenn ich mich richtig scheiße fühle. Außerdem habe ich mir angewöhnt, regelmäßig warm zu essen. Ja, ich musste das wieder lernen. Also koche ich immer für zwei oder drei Tage. So sorge ich dafür, dass ich auch an Tagen, an denen Kochen unvorstellbar ist, etwas Warmes esse. Und auch die beiden täglichen Spaziergänge mit Charlie fallen in diese Kategorie.


Depressionen und das Leben mit Hund

Ein weiteres Argument für starke Selbstfürsorge-Routinen ist das Wohlergehen deines Hundes. Deinem Hund geht es nur gut, wenn du dich um ihn kümmern kannst. Dafür brauchst Du Kraft. Hol dir Kraft aus dem, von dem Du weißt, dass es Dir gut tut, auch wenn es Dir keinen Spaß macht. Typisch für Depressionen ist die sogenannte „Anhedonie“, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Akzeptiere das und tu die Dinge trotzdem.

 

Depressives Denken schafft sich seine eigenen Wahrheiten, die durch Erlebnisse in der Außenwelt aktiviert werden können, ganz besonders schnell und intensiv durch soziale Erfahrungen. Da wir sehr eng mit unseren Hunden zusammenleben, liegt es nahe, dass auch sie negative Überzeugungen triggern können. Charlie beispielsweise aktiviert bei mir regelmäßig die Überzeugung, dass meine Bedürfnisse immer weniger wichtig sind als die anderer. Wenn ich seine Signale mal wieder nicht verstehe, taucht auch wieder die Überzeugung auf, dass ich einfach zu dämlich bin, um einen Hund zu halten. Und seine große Zuneigung zu fast jedem neuen Menschen, den er trifft, löst in mir manchmal das alte Gefühl aus, dass mich sowieso niemand haben will.  

 

Hunde können für depressive Menschen eine große Hilfe sein. Sie bringen Trost, Freude und geben den Impuls sich zu bewegen und das Haus zu verlassen. Aber Hunde sind keine Therapeut*innen und erst recht keine Medizin. Sie sind lebendige Wesen mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, für die wir auch, wenn es uns selbst nicht gut geht, Verantwortung tragen. Die Domestizierung hat aus Hunden Wesen gemacht, die Menschen nicht nur tolerieren, sondern tatsächlich brauchen. Deshalb nehmen sie für uns viel auf sich, körperlich wie emotional. Ich versuche, Charlie so weit wie möglich von meiner dunklen Stimmung und meinen kognitiven Verzerrungen abzuschirmen. Es gelingt mir nicht immer, aber ich gebe mein Bestes.  


Zusammenfassung

1.  Depression ist gegen dich selbst gerichtete Wut.

2.  Die Depression denkt für Dich. Du kannst Gedanken loslassen.

3.  Akzeptanz. Hör auf, gegen die Depression zu kämpfen.

4.  Du bist so viel mehr als nur die Depression. Sie benutzt Dich nur als Spielfeld

5.  Eigne Dir automatisierte Selbstfürsorge-Routinen an.

6.  Mach Dir bewusst, welche Glaubenssätze Dein Hund in Dir triggert.

7.  Lass Deinen Hund nicht die Bürde der Depression tragen.


[1] Wenn Du mehr darüber wissen möchtest, wie Akzeptanz Dir helfen kann, besser mit Deinen Depressionen zu leben, dann empfehle ich Dir, Dich mit ACT zu beschäftigen. ACT steht für „Acceptance und Commitment“. Einen guten Einstieg bietet das Buch „Acceptance and Commitment Therapy for Dummies“ von Freddy Jackson Brown und Duncan Gillard, das es auch als Hörbuch gibt

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