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Ich bin nicht ganz dicht

Biggi Junge

Warum wir mehr Offenheit in der Hundewelt brauchen.

Ich bin in den 80er Jahren aufgewachsen. Damals waren sogenannten Sponti-Sprüche beliebt. Einer davon wahr „Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein“. Ich finde, dass das stimmt. Aber ich bin froh, nicht ganz dicht zu sein. Denn das bedeutet, dass ich mir meine Neugier bewahrt habe und dass ich mich für neue Einflüsse öffnen kann, die meinem Leben neue Wendungen geben können. Offenheit ist für mich die Grundlage jeder Weiterentwicklung.

 

In Bezug auf die Hundewelt hat Offenheit hat viele Aspekte. Drei davon, die mir besonders wichtig sind, möchte ich Dir heute vorstellen. 


Unser Bestes zu geben, garantiert nicht immer Erfolg.


Wir geben immer alle unser Bestes

In der Hundeszene wird viel darüber gestritten, welcher Umgang mit Hunden der „richtige“ ist. Hier wird viel mit Zuschreibungen um sich geworfen, wovon „Wattebäuschchenwerfer“ und „aversiv“ noch die harmlosesten sind. Das Problem mit Zuschreibungen ist, dass sie nur wenige Aspekte berücksichtigen, die alle zusammenpassen und ein in sich geschlossenes Bild ergeben. Deshalb gaukeln uns Zuschreibungen Wahrheit vor. Sie sind sehr einfache Antworten auf sehr komplexe Fragen und Probleme.

 

Ich habe meine eigene Art, mit Hunden umzugehen. Ich ordne diesen Umgang nicht in das oben genannte Schema von „richtig“ und „falsch“ ein, weil ich mich zum einen ständig weiterentwickle. Außerdem erhebe ich nicht den Anspruch, Recht zu haben. Meine Art und Weise, mit Hunden umzugehen, entspricht einfach mir und meinem momentanen Entwicklungsstand.

 

Wenn ich mit Charlie unterwegs begegne ich oft Menschen, die mit ihren Hunden alles andere als nett umgehen. Mir tut das in der Seele weh. Ich habe Mitgefühl mit den Hunden. Ich habe aber auch Mitgefühl mit den Menschen. Ja, Du hast richtig gelesen. Ich habe Mitgefühl mit Menschen, die an der Leine rucken, die ihre Hunde anschreien oder sie körpersprachlich einschüchtern.

 

In Beziehungen, egal ob zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Hund, geht es immer um Gefühle und Bedürfnisse. Gefühle entstehen auf der Grundlage von Bedürfnissen, die erfüllt oder eben nicht erfüllt werden. Und gerade in der Mensch-Hund-Beziehung gehen die Bedürfnisse oft sehr weit auseinander. Wir gehören unterschiedlichen Arten an. Wir nehmen die Welt unterschiedlich wahr. Wir haben unterschiedliche Prioritäten. Da entstehen Konflikte. Und wenn ich nicht gelernt habe, mit  Konflikten konstruktiv umzugehen, dann eskalieren sie eben. Das ist nicht gut, aber es ist ziemlich normal

 

Dessen muss ich mir bewusst sein, wenn ich sehe, dass es einem Hund und einem Menschen zusammen nicht gut geht. Und Offenheit heißt hier, dass ich anerkenne, dass der Mensch in dieser Situation nicht besser handeln kann. Beide, Hund und Mensch geben hier gerade Ihr Bestes und mehr ist in diesem Moment einfach nicht drin. Und nicht nur, dass ich es kognitiv anerkennen muss, ich muss es auch emotional wertschätzen. Offenheit ist die Bereitschaft, verstehen und nachempfinden zu WOLLEN, warum jemand wie handelt. Nur so kann Verstehen entstehen. Und aus Verstehen entsteht Verständnis. 


Was Dich aufregt, hat mir Dir selbst zu tun.


Deine Trigger sind Dein Spiegel

Das bringt mich zum zweiten Aspekt dessen, wie ich Offenheit verstehe: wir müssen uns selbst gegenüber offen sein.

 

Lass mich nochmal zurückkehren zur oben beschriebenen Situation. Ich sehe, wie jemand seinen/ihren Hund anschreit und körpersprachlich einschüchtert. Wieso tut es mir denn so weh, das mit anzusehen ? Natürlich weil ich eine empfindsame Person bin. Ich kann mich vom Leid anderer Lebewesen nicht abgrenzen. Ich ertrage ja noch nicht einmal fiktive Gewalt im Fernsehen. Und das Leiden des Hundes berührt mich.

 

Es tut mir aber auch weh, weil ich die Situation von innen her kenne. Ich war einmal diese überforderte Hundehalterin, die sich in belastenden Situationen mit ihrem Hund nicht anders zu helfen wusste, als ihn anzuschreien und grob aus der Situation zu befördern. Ich weiß, wie scheiße sich das für den Menschen anfühlt und wie verzweifelt sie sein muss.

 

Wenn uns etwas im Außen triggert, existiert immer eine Resonanz zu eigenen Themen, zur eigenen Geschichte. Das kann mit Hunden zu tun haben, oftmals sind es aber auch Themen aus ganz anderen Zusammenhängen. Deshalb sollten wir, bevor wir andere Menschen für ihren Umgang mit ihrem Hund verurteilen, mindestens einmal sehr tief durchatmen, bei uns selbst nachschauen und uns fragen: „Woran erinnert mich diese Situation? Woher kenne ich das Gefühl, das gerade in mir aufsteigt ? Welcher Handlungsimpuls entsteht in mir gerade und woher stammt der denn ?“

 

Wie eine Therapeut*in, die ihre eigenen Themen kennen muss, um nicht in einer Übertragung zu landen, müssen wir unsere Trigger kennen und mit ihnen arbeiten, bevor wir anderen Menschen helfen können, dasselbe zu tun. 


Wahrnehmen ist nicht gleich Wahrheit.



Die Realität ist nicht das, was Du siehst

Und schließlich bedeutet Offenheit auch eine Art Demut. Ich bin mir bewusst, dass ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefuttert habe. Ich bin nicht allwissend.

 

Wie kann ich eine Person für ihren Umgang mit ihrem Hund verurteilen, ohne die inneren und äußeren Bedingungen dieser Person zu kennen ? Wer bin ich, eine Meinung darüber zu äußern, wenn ich von dem Weg, den Hund und Mensch, bereits gemeinsam zurückgelegt haben, gar nichts weiß ? Ich weiß nur, was ich von außen sehen kann. Und selbst das kann ich gründlich missverstanden haben.

 

Wir alle haben Filter, die uns nur einen Ausschnitt der Realität wahrnehmen lassen, nämlich den, den wir sehen wollen. Alles andere bleibt unsichtbar. Wir leben nicht nur auf Social Media in einer Blase, innerhalb derer alles logisch zusammenpasst. Die angesprochene Demut zieht in Erwägung, dass es außerhalb dieser Blase Wahrheiten gibt, die ich noch nicht kenne und die genau so richtig sein können wie meine, auch wenn sie sich komplett widersprechen.

 

Das Leben ist nicht logisch. Die Welt ist nicht logisch. Es sind die Widersprüche, die normal sind. Daher ist Offenheit auch Neugier, eine Neugier auf das, was nicht in mein Weltbild passt. Das ist nicht ganz einfach. Aber wie ich schon öfter gesagt habe: interessant wird‘s da, wo‘s schwierig wird.  


Die Welt ist komplizierter als in Büchern.



Wir leben nicht in Mittelerde

Um nochmal zum Anfang zurückzukehren. In der Hundewelt verlaufen die Konfliktlinien wie im Herr der Ringe zwischen Gut und Böse, richtig und falsch. Das ist nicht hilfreich. Erstens weil schwarz und weiß nur die Extreme von ganz vielen unterschiedlichen Grau-Schattierungen sind. Und zweitens, weil der Weg zwischen Extremen sehr weit ist. Es gibt keine Berührungspunkte, an denen konstruktive Auseinandersetzung stattfinden könnte. Und die ist notwendig, wenn wir wollen, dass sich endlich etwas verändert.

 

Was helfen könnte, wäre anzuerkennen, dass wir ALLE dasselbe Ziel haben. Wir wollen Hunden und Menschen helfen. Auf die Gefahr hin, dass jetzt Kolleg*innen, die sich als „gewaltfrei arbeitende Hundetrainer*innen“ verstehen, aufschreien: ich bin davon überzeugt, dass auch „aversiv“ arbeitende Kolleg*innen nicht das Ziel haben, Hunden zu schaden. Auch sie wollen helfen. Sie haben nur ein anderes Verständnis vom besten Weg, der zu diesem Ziel führt. Und hier ist der Berührungspunkt, an dem wir anfangen können, neugierig und offen miteinander zu sprechen. Denn wie bereits gesagt: Verständnis entsteht aus Verstehen.




Bildnachweis:

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