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Compassion Fatigue - Emotionale Erschöpfung bei Hundhalter*innen

Biggi Junge

Ist Mitgefühl endlich ?

Um die Frage gleich vorweg zu beantworten: Nein, Mitgefühl ist nicht endlich. Aber die Kraft, sich für ein mitfühlendes Miteinander zu entscheiden, kann zur Neige gehen, wenn wir nicht gut mit unseren emotionalen Ressourcen haushalten. 

Was ist Compassion Fatigue und wen betrifft sie ?

Wörtlich übersetzt bedeutet Compassion Fatigue „Mitgefühlsmüdigkeit“. Der Zustand ist insbesondere bei Tierärzt*innen beschrieben worden, kommt aber auch in anderen, helfenden Berufen vor. Er kann sich unter anderem durch Depressionen und andere psychosomatische Veränderungen bemerkbar machen, durch Schlafstörungen oder Suchtverhalten, aber auch durch eine verstärkte Distanziertheit bei der Arbeit und in anderen Beziehungen, so auch in der Beziehung zum Hund. 


Compassion Fatigue ist eine Form der emotionalen Erschöpfung.



Compassion Fatigue unter Hundehalter*innen

Kennst Du das ? Du hattest einen anstrengenden Tag mit unzähligen Aufgaben und Belastungen. Und dann zeigt auch dein Hund noch eine besonders ausgeprägte Bedürftigkeit; sei es, dass er anhänglicher ist als sonst, ängstlicher oder reaktiver. Die Frage, woher das Verhalten deines Hundes kommt und ob es etwas mit deiner Gefühlslage zu tun hat, möchte ich an dieser Stelle mal beiseite lassen. Entscheidend ist, dass du mit einem Mal merkst, dass dein Akku leer ist. Du kannst dich nicht auf noch eine Befindlichkeit in deinem Umfeld einstellen. Es geht einfach nicht mehr. Die Kraft dafür ist nicht mehr da. Und anstatt mitfühlend und verständnisvoll auf die Bedürfnisse deines Hundes einzugehen, reagierst du gestresst und unwirsch.

 

Wir alle haben solche Tage. Manchmal reicht uns einfach alles und dann kann es uns niemand mehr recht machen, auch  der Hund nicht. Es gibt aber auch Mensch-Hund-Teams, für die gehört diese Art grenzwertiger Belastung zum Alltag. Insbesondere Menschen, deren Hunde eine sehr niedrige Reizschwelle haben und schnell überfordert, verängstigt oder aggressiv reagieren, überschreiten regelmäßig die Grenzen ihrer Fähigkeit, mitfühlend präsent zu bleiben. Das Ergebnis ist nicht selten ein schlechtes Gewissen und Selbstvorwürfe.


Wut, Hilflosigkeit und Erschöpfung

Ich kenne das nur zu gut. Mir geht es mit Charlie so, seit wir beieinander sind. Und das sind mittlerweile mehr als zwölf Jahre. Ich kenne die Wut über mich selbst, wenn ich in Situationen, in denen er sehr empfindlich auf einen Trigger reagiert, selbst aus der Kurve fliege, weil dieser Trigger eben einer zu viel für mich war. Ich kenne die Hilflosigkeit, wenn ich merke, dass sich beim Spaziergang eine Situation anbahnt, der ich nicht mehr ausweichen kann, ich aber auch nicht mehr die Kraft habe, Charlie da gelassen und souverän hindurchzuführen. Und ich kenne auch das Bedürfnis, mich innerlich von den Bedürfnissen meines Hundes zu distanzieren, weil ich einfach keine Kraft mehr dafür habe. Dann tanzen die Selbstvorwürfe auf der Klaviatur meines schlechten Gewissens Can-Can. Und die scheinbar einzige Möglichkeit, das auszuhalten, ist, dicht zu machen.


Akzeptanz bedeutet, Ja zu sagen zu dem, was ist.


Was hilft: Akzeptanz

Nur leider ist mit dem schlechten Gewissen und den Selbstvorwürfen weder dem Hund noch mir selbst geholfen. Ganz im Gegenteil verschärfen sie den Druck, unter den ich mich selbst setze, nur noch weiter. Gefühle gehorchen eben auch physikalischen Gesetzen. Wenn wir sie wegschieben, werden sie nur stärker. Druck erzeugt immer Gegendruck. Deshalb braucht es Raum. Gefühle müssen da sein dürfen. Und diesen Raum schaffe ich durch Akzeptanz. Ja, die Situation war nicht gut. Der Hund war überfordert und das hat mich überfordert. Ja. Es war so. Ich kann es nicht ungeschehen mache. Punkt. Durchatmen. Füße spüren. Es mag banal klingen, ist es aber nicht. Akzeptanz ist ein körperliches Phänomen mit machtvoller Wirkung. Die Muskelspannung sinkt. Atmung und Herzschlag regulieren sich. Und der Kopf kann wieder klarer denken. Probier’s aus. 


Was hilft: Selbstmitgefühl

Während Akzeptanz ein eher kognitiver Prozess ist, wirkt Selbstmitgefühl mehr auf der emotionalen Ebene. Selbstmitfühlend zu handeln bedeutet, dich selbst so zu behandeln wie deine*n beste*n Freund*in. Es bedeutet, aus der Bewertung auszusteigen und anzuerkennen, dass du in einer schwierigen Situation dein bestmögliches gegeben hast. Schwierige Umstände erschaffen selten optimale Handlungsmöglichkeiten. Wir tun, was uns möglich ist, so gut es uns möglich ist. Und dafür verdienen wir Anerkennung, zu allererst von uns selbst. Wenn Du also das nächste Mal eine schwierige Situation mit deinem Hund überstanden hast, dann bleib stehen, leg eine Hand auf dein Herz und sag dir selbst: „Das hast Du gut gemacht!“, egal wie laut dein Kopf auch gerade das Gegenteil behaupten mag. Sprich es laut aus, wieder und wieder. Denn du hast es gut gemacht, so gut wie es Dir eben gerade möglich war.   


Selbstmitgefühl ist die Tür zum Mitgefühl mit deinem Hund.


Selbstmitgefühl als Türöffner

Die Weite und Wärme, die durch Akzeptanz und Selbstmitgefühl in dir in entstehen, öffnen auch wieder den Raum für die Wahrnehmung der Bedürfnisse deines Hundes. Demgegenüber sind ihr Gegenteil, Enge und Widerstand, Warnsignale für mich. Wenn ich merke, dass ich gerade dabei bin, mich innerlich gegenüber Charlie abzugrenzen, dann stelle ich mir die Frage, wo ich mich gerade gegenüber meinen eigenen Bedürfnissen abgrenze. Ich frage mich, welche Tür ich in mir selbst öffnen muss, um wieder Raum zu schaffen und welches „Müssen“ oder „Sollen“ ich besser wieder loslasse. Es war ein langer Weg bis zu dieser Erkenntnis. Und bei der Umsetzung stolpere ich trotzdem noch oft. Aber so herausfordernd mein gemeinsamer Weg mit Charlie auch ist, kann ich heute doch viel häufiger mitfühlend präsent sein mit ihm und mit mir selbst, wenn’s im Alltag mal wieder  schwierig wird. 



Bildnachweis:

Juan D. auf Pixabay

Peter H auf Pixabay

Engin Akyurt auf Pixabay


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